Mittwoch, 11. April 2007

Lesetext für mündliche Prüfung (Modell 01)

(Als Word-Datei: www.everyoneweb.com/aleman12)


1 Köpenick: Lebensraum von schöngesichtiger Wasserschnecke bedroht
2 Seebrücke soll Besucher locken, vergrault aber seltene Tiere

3 Sie ist schöngesichtig, so steht es wenigstens in ihrem Namen. Sie ist drei Millimeter 4 klein und unscheinbar. Und es kennt sie so gut wie niemand. Trotzdem könnte dieses 5 Mini-Weichtier, korrekt ausgedrückt die schöngesichtige Zwergdeckelschnecke, dafür 6 sorgen, dass das Tourismuskonzept eines gesamten Bezirks ins Wasser fällt. Denn die 7 Unter-Wasser-Schnecke mit dem bizarren Namen, die so selten ist, dass sie auf der 8 Roten Liste der bedrohten Tiere steht, lebt ausgerechnet dort, wo Treptow-Köpenick 9 Berlins längste Seebrücke bauen will - das Herzstück eines neuen 10 Wassertourismuszentrums, das für mehr Belebung in Köpenicks Altstadt sorgen soll. 11 Das Schneckchen hat sich - zusammen mit anderen raren Weichtier-, also 12 Molluskenarten - am Frauentog, einer kleinen Bucht zwischen Schlossinsel und 13 Fischerkiez angesiedelt. Dort soll die auf Pontons schwimmende Brücke 180 Meter weit 14 aufs Wasser reichen.
15 "Ein faunistisches Gutachten hat ergeben, dass mit dem Steg erheblich in die Natur 16 eingegriffen wird", sagt Baustadtrat Dieter Schmitz (SPD). In einer laut 17 Naturschutzgesetz vorgeschriebenen Stellungnahme erteilten die 15 Berliner [18] Naturschutzverbände dem Bau eine eindeutige Absage. Nun müssen Bezirk und 19 Naturschutzverbände angehört werden. "Dabei wird geklärt, ob und wie ein solcher 20 Eingriff in die Natur vorgenommen werden darf und wie er gegebenenfalls ausgeglichen 21 werden kann", sagt der zuständige Abteilungsleiter in der Senatsverwaltung für 22 Stadtentwicklung den Journalisten. Auf die Frage, welchen Ausgang der Anhörung er 23 erwarte, antwortete er: „Gedulden Sie sich, in der Vergangenheit zeigte sich bis jetzt 24 immer, dass man sich vernünftig einigen kann.“ Möglich wäre, dass die Tierchen am 25 Frauentog geborgen werden und ihre Ansiedlung in einer anderen geeigneten Uferzone 26 erfolgt. Möglich wäre auch, dass sie dort aufgegeben werden und der Bezirk dafür an 27 anderer Stelle Natur schaffen muss - dass etwa ein Schilfgürtel angelegt wird, wo bislang 28 Beton ist. Möglich ist aber auch, dass die Seebrücke gar nicht gebaut wird. "Wir müssen 29 zwischen Naturschutz und öffentlichem Interesse abwägen", sagt man im Senat. Die 30 Entscheidung fällt Anfang des kommenden Jahres. 31 Geht es nach dem Bezirk, muss das Votum klar für die Seebrücke ausfallen. Denn die 32 Steganlage ist ein wichtiger Bestandteil des Tourismuskonzepts im wald- und 33 wasserreichsten Bezirk. Vor allem die Altstadt, eine von Spree und Dahme umflossene 34 Insel, soll davon profitieren. "Dorthin wollen wir mehr Touristen locken, die mit dem Boot 35 kommen und denen wir etwas bieten wollen", sagt Michael Diehl, Sprecher des 36 Tourismusvereins. Bis zu 30 Yachten und Motorboote sollen am Steg anlegen können - 37 aber genau die würden mit ihren Schiffsschrauben und ihrem Tiefgang den Lebensraum 38 der schöngesichtigen Weichtiere zerstören. Auf der Brücke soll es Sanitäranlagen mit 39 Duschen geben, ebenso ein Restaurant. Würde die Brücke nicht gebaut, würde das 40 auch die Anwohner freuen - denn ähnlich wie die Mollusken fürchten sie um ihre Ruhe 41 im Kiez.
42 Schon öfter musste im Südost-Bezirk zwischen Natur und Tourismus entschieden 43 werden. Beim Müggelsee gewann der Naturschutz. Statt dort eine Wasserskianlage zu 44 genehmigen, wurde der See vom Land Berlin komplett für das Schutzsystem "Natura 45 2000" der Europäischen Union angemeldet - weil im Müggelsee seltene Fischarten 46 leben. Und auch die Idee einer Seilbahn vom Langen See zum Müggelsee könnte 47 scheitern. Baustadtrat Schmitz dazu: "Köpenick liegt zwar sehr idyllisch am Wasser, aber 48 genau das steht einer touristischen Entwicklung manchmal eben im Wege."

(Die Zeilenzahlen, im Original am Zeilenanfang, wurden hier kursiv in den Text eingefügt)

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